
Museum der Sprache
Eine Kolumne von Nina Kunz
Das Magazin N°10 – 7. März 2020
Kübra Gümüşay, eine deutsche Journalistin, hat ein wichtiges Buch geschrieben mit dem Titel «Sprache und Sein».
Es handelt von der Frage, wie wir eine Sprache finden können, die nicht
verletzend ist, und dazu hat Gümüşay einiges zu sagen. In den letzten
Jahren wurde sie, als kopftuchtragende Feministin, nämlich häufig in
Talkshows eingeladen, um mit anderen Gästen über den Islam zu
diskutieren. Und während diese oft gegen «die Türken» oder die
Willkommenskultur wetterten, hatte sie die undankbare Aufgabe, Fakten
dagegenzuhalten. Irgendwann war sie es aber leid, immer auf Angriffe
reagieren zu müssen – was sie dazu veranlasste, dieses Buch zu
schreiben.
Als Erstes erzählt Gümüşay, wie häufig es ihr schon passiert sei, dass
sie in Gesprächssituationen nicht richtig gehört wurde – und stellt dazu
die These auf, dass Menschen, die einer Minderheit angehören, oftmals
nicht als Individuen wahrgenommen werden, sondern als Vertreterinnen und
Vertreter einer Kategorie. Sie erklärt: Während einige Menschen in der
Gesellschaft das Privileg haben, facettenreiche und autonome Personen zu
sein, werden andere sofort in einen Klischeekäfig gesteckt: Aha, ein
Ostdeutscher. Aha, ein Türke. Oder in ihrem Falle: Aha, eine
Kopftuchträgerin.
So stellt Gümüşay rückblickend auch fest, dass sie nie «als sich selbst»
in diese Talkshows eingeladen wurde, sondern – ihrer Kategorie
entsprechend – «als Stellvertreterin für alle muslimischen Frauen
Deutschlands». Dies, gepaart mit dem Fakt, dass sie sich immer
rechtfertigen musste, führte irgendwann dazu, dass sie sich selbst nur
noch als «Kopftuchträgerin» sah – was schmerzte.
Um zu erklären, was hier passiert ist, lädt uns Gümüşay ein, die Sprache
als «Museum» zu denken. Bisher, so die Autorin, wurde dieses Museum von
Menschen eingerichtet, die in irgendeiner Form Macht besitzen. Sie
haben ihre Sichtweise auf die Welt als «Norm» festgesetzt und alles, was
ihnen wie ein «Objekt» vorkam, in Vitrinen gesteckt: Katzen, Klaviere,
Gabeln, aber eben auch Ostdeutsche, Türken oder Menschen, die ihnen
sonst irgendwie «fremd» vorkamen. Deshalb gebe es heute diese
Stereotypen, die gewissen Menschen jede Form von Individualität
absprechen.
Damit sich dies ändert, müssen laut Gümüşay zwei Dinge passieren.
Erstens sollten die Kuratoren der Sprache die Menschen in den Vitrinen
dazu einladen, das Museum mitzugestalten. Wenn diese nämlich auch etwas
zu sagen hätten, würde sehr bald klar, dass es Irrsinn ist, Menschen in
Kategorien einzuteilen. Und zweitens sollten die Menschen, die heute als
das «Andere» gelten, aus ihrem Klischeekäfig ausbrechen, indem sie sich
das Recht erkämpfen, facettenreiche und selbstbestimmte Individuen zu
sein. Gümüşay selbst ist es leid, sich immer erklären zu müssen, und
will daher nie wieder «als Kopftuchträgerin» auftreten – sondern nur
noch: als Person.
Kübra Gümüşay liest am 29. März um 20 Uhr im Zürcher Kaufleuten.
Nina Kunz ist Historikerin und Journalistin.